Der Herr geht arbeiten


Das Leben des Herrn verlief sonst ganz normal. Er stand morgens gegen 5.30 Uhr auf, ging ins Bad, rasierte und wusch sich, putzte die Zähne, nahm ein paar Medikamente, sah mehrmals auf die Uhr, machte sich Frühstück, las etwas in der Zeitung und verließ gegen 6.15 Uhr das Haus. Auf seinem Arbeitsweg verlor er täglich 35 Minuten hin und 35 Minuten zurück von seiner Lebenszeit. Er sah in den Wohnhäusern Lichter brennen, meist in den Küchen und zur Winterzeit schwarzen Schneematsch am Straßenrand. Er konnte die mit Leitplanken bewehrte Straßenseite nur durch eine Unterführung wechseln, dort roch es nach Urin. Zum Herrn gesellten sich, je näher er seinem Arbeitsplatz kam, immer mehr KollegInnen, die er grüßte. Von oben betrachtet sah man viele großen Gebäude, die morgens aussahen wie Magnete, die Eisenfeilspäne anzogen. Nur, dass es hier ähnlich gekleidete Menschen waren. Dann erreichte der Herr seinen Arbeitsplatz. Ein relativ kleiner Raum in einem großen Gebäude, in dem sehr viele Menschen mit ihm den Tag bei Kunstlicht verbrachten.
Wenn er an einem freien Samstag seinen Arbeitsweg lief, dann versuchte er sich jedes Mal auszurechnen, wie oft er schon diesen Weg benutzt hatte. Allerdings hatte er bislang kein Ergebnis, war vor Beendigung des Gedankens schon abgeschweift und hatte irgendeinen anderen Gedanken zum Anlass genommen, sich anders orientiert. Ein Auto, ein spielendes Kind, ein Ball, der auf den Gehsteig rollte. Jede Ablenkung war willkommen. Meist ging der Herr jedoch wie automatisch, zählte manchmal seine Schritte oder wollte nur bestimmte Platten des Gehsteigs betreten, besondere Farbschattierungen im Asphalt auslassen.

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