*
*
Thomas Bernhard: „Auslöschung“
Für mich sprudelt aus diesem Buch ein Quell der Freude, ergießt sich eine Leselust, wie ich es sonst nur bei sehr wenigen Büchern erlebt habe. In seinem letzten großen Prosawerk stellt Thomas Bernhard seine Kunst, Alltagssätze durch elegante Drehungen immer wieder neuen Erkenntnissen zuzuführen, in fast vollendeter Weise vor. Fast vollendet, weil der Schluß des Buches leider etwas gewollt wirkt, nicht mehr so fein verwoben wie die ersten 600 Seiten. Selbstreflexion und Situationsreflexion, genaue Beobachtung, dargestellt in eleganter Dialektik und das Ganze ohne die üblichen Tabus und Anbiederungsversuche an den „Mainstream“. Das Buch beginnt mit der Schilderung eines Lehrer-Schüler Verhältnisses und zeigt in seiner Entfaltung viele weitere Aspekte der Herr-Knecht Interaktion. Ritualisierte Aspekte der unterschiedlichsten Hierarchien werden dargestellt und auf so elegante und sprachlich faszinierende Weise einer schematischen Beurteilung enthoben, dass fast jede Seite zur Erkenntnisquelle wird. Bernhard nutzt, wie in seinen anderen Werken auch, das Mittel der Übertreibung. Er bezeichnet den Erzähler Murau in der Auslöschung als einen Meister der Übertreibung und er weist nach, dass selbst die stärkste Übertreibung nicht in die Lage kommt, die Absurdität der Wirklichkeit zu beschreiben.
Dieses Buch hebt sich von der „Leitzordnerliteratur“ so wohltuend ab, dass es sicherlich als „bedingungsloses Geschenk an die Weltliteratur“ gelten kann. Ein Tipp: Lesen Sie das Buch laut, am besten ihrem Partner, ihrer Partnerin vor.
Franz Stowasser, Mai 2009